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aus dem Schwarzwälder Boten vom 20.12.2005
Der
Seele der Musik Raum gelassen
Die "h-Moll-Messe" der Nagolder Kantorei in der
Stadtkirche wird zum musikalischen Ereignis
Nagold. Es gibt Musiker, die schaffen in ihrer Interpretation der
Werke von Johann Sebastian Bach eine künstliche und kühle Distanz
zwischen Werk und Zuhörer. Sie geben der bei Bach so ausgefeilten
und genialen Form und ihrem eigenen künstlerischen Ansatz mehr Raum
als der emotionalen Seite, der Seele des Werks.
Doch diesen Fehler machten Bezirkskantor Stefan Skobowsky, die Nagolder
Kantorei, das Karlsruher Barockorchester und die vier exquisiten Solisten
bei der Aufführung der "h-Moll-Messe" von Johann Sebastian
Bach am Sonntagabend in der voll besetzten Stadtkirche nicht. Sie nahmen
die Zuhörer nicht nur mit in die anspruchsvolle Form der Komposition,
sondern vermittelten auch die emotionale Tiefe, die in der Bachschen Musik
in großem Maße zu finden ist. Und so strahlte das Werk an
diesem Abend nicht nur kühle intellektuelle Genialität, sondern
auch eine große Wärme und Sanftheit aus. Musikalische Ecken
und Kanten, die andere Interpreten akzentuieren mögen, und an denen
sich die Zuhörer reiben könnten, waren da nicht zu finden.
Dieses Bild des runden, sanften und warmherzigen Bach setzte der Chor
unter Leitung von Stefan Skobowsky konsequent um. Chor und künstlerischer
Leiter zeigten dabei ein gutes Gespür für die ganz besonderen,
intensiven Momente dieses großen geistlichen Werks. In dieses Gesamtkonzept
passte sich das von Skobowsky gewählte eher langsame Grundtempo harmonisch
ein, von dem sich die Musiker lediglich zum sehr schnellen "Cum Sancto
Spiritu" und dem ersten "Credo" kurzfristig verabschiedeten,
um dann im weiteren Verlauf des Konzerts wieder zum Ausgangstempo zurückzukehren.
Doch selbst an diesen und anderen technisch schwierigen Stellen ließ
sieh der große Chor der Kantorei nicht aus dem Konzept bringen und
erwies sich so auf den Punkt perfekt vorbereitet.
Es waren bekannte Gesichter, die Stefan Skobowsky als Solisten für
dieses Musikereignis in Nagold verpflichtet hatte. Und er hatte bei dieser
Wahl ein glückliches Händchen und ein gutes Gespür. Denn
auch die Solisten strahlten in ihren Partien eine Wärme und getragene
Emotionalität aus, die sich wunderbar in das künstlerische Gesamtbild
einfügten: Jeannette Bühler mit ihrem geschmeidigen Sopran,
Mareike Schellenberger mit einer klaren und beinahe dramatischen Altpartie,
der spannungsgeladene intensive Tenor von Julius Pfeifer und der lebendige
und geschmeidige Bass des Markus Flaig machten auch die Solopartien und
vor allem die Duette zu einem besonderen Erlebnis.
Zu einem runden Gesamtbild eines solchen Konzerts gehört zweifelsohne
auch ein Orchester, das das künstlerische Konzept und die Sänger
trägt. Mit seinem sanften und warmen Grundton war das auf Originalinstrumenten
agierende Karlsruher Barockorchester, in dem besonders die Holzbläser
positiv hervorstachen, ein idealer Partner für die Nagolder Kantorei.
In der Vorbereitung auf dieses für alle Beteiligten besondere und
einmalige Konzert hatte Stefan Skobowsky seinen Sängerinnen und Sängern
der Kantorei mit auf den Weg gegeben, beim Singen gelegentlich mal ein
"unverschämtes Lächeln" aufzusetzen, um den Klang
zu verbessern. Wenn es auch nicht unbedingt unverschämt sein muss:
Grund zum ausgiebigen Lächeln haben alle Musiker nach diesem Abend
mehr als genug, denn sie waren Teil eines wunderbaren musikalischen Ereignisses,
das nicht nur die Musiker selbst, sondern auch die Zuhörer noch lange
positiv in Erinnerung behalten dürfen.
Sebastian Bernklau
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